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Über 70 Jahre Wirken der Landsmannschaft Ostpreußen in Nordrhein-Westfalen Ein Beitrag von Walter T. Rix So bedeutsam wie der ostdeutsche Anteil an der Kultur- und Geistesgeschichte Deutschlands insbesondere in der Neuzeit ist, so sehr scheint dies in der letzten Zeit aus dem allgemeinen Bewusstsein zu entschwinden. Die Gründe sind vielfältig. Die neusprachliche Umwidmung von Ostdeutschland sowie die Brüsseler Verneinung von Nationalstaatlichkeit mögen dabei eine zentrale Rolle spielen. Man muss daher in einer Zeit, in der Ostdeutschland im politischen Nebel seine Konturen zu verlieren droht, aufmerken, wenn die Landsmannschaft Ostpreußen in Nordrhein-Westfalen auf 320 Seiten einen Längsschnitt vorlegt, der Vergangenheit mit Gegenwart verbindet und zusätzlich noch eine Perspektive in die Zukunft eröffnet. 75 Jahre nach Vertreibung und Heimatverlust konnte es keine Festschrift werden, sondern die Schrift musste die Gestalt einer Chronik annehmen. Wer nun aber eine Ansammlung von nüchternen Daten und trockenen Fakten erwartet, wird höchst angenehm überrascht. Mit einem weit gefassten Spektrum an Themen widmet sich die reich bebilderte und mit zahlreichen Karten ausgestattete Chronik landeskundlichen, historischen, literarischen und auch aktuellen politischen Fragestellungen. Die Chronik ist daher weit mehr als nur ein Rückblick, und man ist geneigt, in diesem Zusammenhang hinsichtlich der Beweggründe für die Erstellung einen Satz von Goethe zu bemühen: „Eine Chronik schreibt nur derjenige, dem die Gegenwart wichtig ist.“Der erste Teil widmet sich auf 95 Seiten naturgemäß der Entstehung, den Zielsetzungen und der Entwicklung der Landsmannschaft speziell in Nordrhein-Westfalen. Nach diesem eher allgemeinen Teil schließen sich elf Kreisgruppen an, die ausführlich zu Wort kommen und mit Hilfe von Bildgalerien über ihre Arbeit informieren. Wenn man das hier ausgebreitete Material näher betrachtet, dann erschließen sich unverkennbar mentale und soziale Strukturen, die zum Nachdenken in mehrfacher Hinsicht herausfordern. Aus welchem Schmerz, aber auch mit welchen Hoffnungen fand man sich im Bekenntnis zu Heimat und Herkunft zusammen. Und wie kraftzehrend war es, Identität und Anspruch bis heute zu bewahren. Immer wieder wird in den einzelnen Berichten deutlich, dass es das kulturelle Erbe ist, das für Kontinuität und Gemeinschaft sorgt. Einen gewichtigen Anteil haben die unterschiedlichen Themen gewidmeten Aufsätze. In einem sorgfältig recherchierten Beitrag beschäftigt sich Jochen Zauner mit „Masuren – seine Menschen und ihre Identität vor 1920“ und kommt zu dem Schluss, dass das Abstimmungsergebnis 1920 ein freies Bekenntnis war. Ebenso aufschlussreich sind Horst Tuguntkes Ausführungen über das Ermland. Bärbel Beutner, vielen bekannt als profunde Kennerin nicht nur der ostdeutschen Literatur, ist gleich mit zwei Aufsätzen vertreten. Sie würdigt einmal Hermann Sudermann und weiß dem etablierten Bild neue Akzente hinzuzufügen. Zum anderen liefert sie eine faszinierende Analyse der aktuellen Rezeption ostpreußischer Dichter. Mit Wehmut erfüllt die Darstellung von Lorenz Grimoni über das einmalige „Museum Stadt Königsberg“ in Duisburg, das infolge äußerer Zwänge der Auflösung anheimgefallen ist. Zwar sind wichtige Exponate nach Lüneburg und Ellingen gegangen, aber eine schmerzliche Leerstelle ist zurückgeblieben. Weitere Autoren befassen sich unter anderem mit folgenden Themen: „Kampf um Ostpreußen“, „Flucht über das zugefrorene Haff aus der Täterperspektive“, „Rückerwerb des Königsberger Gebietes“, „Störche in Ostpreußen“, „Altertumsgesellschaft Prussia“, „Über die Prußen“, „Deutsche Kulturgüter als Raubkunst“, „Wie ‚Ostpolen‘ zu Polen kam“, „Versailles und das Memelland“.Unter der großen Zahl an Beiträgen seien zwei herausgegriffen, weil sie in verständlicher Weise Klarheit in komplexe Probleme bringen: Wilhelm Kreuer behandelt den „Lastenausgleich – eine Erfolgsgeschichte?“ und kommt zu dem Ergebnis, dass den Vertriebenen etwa nur ein Fünftel der Vorkriegswerte ersetzt wurde. Der Wirtschaftsaufschwung hat dann die Gefühle geglättet. Mit dieser Thematik hängt auch Ulrich Penskis „Dokumentation zur Eigentumsfrage“ zusammen. Er stellt die öffentlichen Äußerungen von Vertriebenenvertretern zu dieser Frage zusammen und zieht in Bezug auf die Realität das Résumee, dass die Rechtsprechung das „Siegerrecht den Menschenrechten vorgezogen und damit auch die vielfach beschworenen europäischen Werte als bloße politische Rhetorik enthüllt“ habe.Die Fülle an Fakten sowie an Bild- und Kartenmaterial lässt die Chronik fast wie ein Nachschlagewerk erscheinen. Betrachtet man die Beiträge aus der Vogelperspektive, so wirken diese in ihrer Gesamtheit wie der Pulsschlag Ostpreußens. Die Erinnerung hat einen Bruder und dieser heißt Hoffnung. Die Chronik fängt so viel an ostpreußischem Geist ein und veranschaulicht diesen derart, dass über die Hoffnung hinaus Zuversicht erwächst. Der hier spürbar werdende lebendige Geist wird dieses Land weitertragen. „Auch in Zukunft wird Ostpreußen seinen Platz behaupten.“
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NRW
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