Jahrestreffen der LO in Wolfsburg am 11. Juni
2022
„Die Geschichte kennt kein Ende“
Rund 1000 Menschen kamen in Wolfsburg zusammen. Als Ehrengast erschien auch
Litauens Botschafter
Hans Heckel
Nach dreijähriger Zwangspause kamen am 11. Juni wieder rund eintausend Besucher
zum Ostpreußentreffen in Wolfsburg zusammen. Das Treffen stand ganz unter dem
Eindruck des Kriegs in der Ukraine. Krieg, Vertreibung, Flucht – die Duplizität
der Ereignisse in der Ukraine mit ihrem Schicksal im Jahre 1945 stehe allen
Ostpreußen vor Augen, so Stephan Grigat, Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen
(LO), der nach einem Geistlichen Wort von Pfarrer Manfred Schekahn die
Festansprache hielt.
Der Krieg sei für ihn noch einige Tage vor dem Ausbruch undenkbar gewesen.
Putins Versuch, die Grenzen in Europa mit Gewalt zu verändern, sei „ein
Tabubruch, eine Grenzüberschreitung, für die es kaum Worte gibt“. Grigat blickte
dabei auch auf ein Vierteljahrhundert guter Zusammenarbeit mit russischen
Partnern im heute russischen Teil Ostpreußens zurück: „Die Menschen, die viele
Jahre mit uns zusammengearbeitet haben, haben Angst.“ Repressalien von
Ausreiseverboten bis zum Verlust der beruflichen Position hätten schon vor dem
Ukrainekrieg begonnen.
„Starke Ausstrahlung nach Litauen“
Jedoch: „An diesen Menschen hängt unsere Hoffnung, dass Russland doch noch die
Kraft findet, sich aus sich selbst heraus zu reformieren und in den Kreis der
zivilisierten Staaten zurückzukehren“, so Grigat. Sehr zufrieden zeigte sich der
LO-Sprecher mit der Zusammenarbeit mit den polnischen Partnern der Ostpreußen,
von denen viele längst Freunde geworden seien. „Ostpreußen lebt“, so Grigat,
denn „die Geschichte kennt keine Stunde Null und sie kennt kein Ende“.
Als Vertreter der gastgebenden Stadt begrüßte Dennis Weilmann, Oberbürgermeister
von Wolfsburg, die Teilnehmer. Er betonte, wie stark die deutschen Vertriebenen
und Flüchtlinge zum Aufbau der jungen Autostadt nach dem Zweiten Weltkrieg
beigetragen hätten.
Als prominentester ausländischer Gast war der Botschafter Litauens, Ramūnas
Misiulis, nach Wolfsburg gekommen. Misiulis lobte die langjährige Kooperation
mit der Landsmannschaft.
Der Botschafter hob die historisch starke Ausstrahlung Ostpreußens auf seine
Heimat hervor. So sei das erste Buch in litauischer Sprache in der
ostpreußischen Hauptstadt Königsberg im 16. Jahrhundert gedruckt worden. Ein
Ostpreuße habe die Bibel ins Litauische übersetzt.
Und im 19. Jahrhundert, als Litauen zu Russland gehörte und starken Versuchen
der Russifizierung ausgesetzt war, sprangen laut Misiulis die ostpreußischen
Nachbarn in die Bresche. Ostpreußische Verleger hätten damals 1800 Bücher in
litauischer Sprache mit sechs Millionen Stück Gesamtauflage in Königsberg
drucken lassen, die dann nach Litauen geschmuggelt worden seien, wo es verboten
gewesen sei, in litauischer Sprache zu publizieren.
1945 indes hätten litauische Familien ostpreußische Kinder aufgenommen, die in
den Wirren der Flucht ihre Eltern verloren haben, die sogenannten Wolfskinder.
Angesichts von Putins Aggression appellierte der Botschafter an die Deutschen,
führend bei der Unterstützung der Ukraine zu werden. Im Falle eines Sieges werde
sich Putin nicht mit der Ukraine zufriedengeben. Später kämen die baltischen
Staaten, Polen und irgendwann auch Deutschland an die Reihe.
Vereine wollen Warschau verklagen
Ein durchwachsenes Bild zeichnete Heinrich Hoch, Vorsitzender des Verbandes der
deutschen Gesellschaften in Ermland und Masuren. Von den rund 10.000 Angehörigen
der deutschen Minderheit im südlichen Ostpreußen seien 3800 Mitglieder der
deutschen Vereine. Die Zahl der Kinder, die in Deutsch als Muttersprache an den
Schulen unterrichtet werden, sei seit dem Start des Unterrichts 2005 von 100 auf
2200 gestiegen. Allerdings habe die polnische Regierung den Zuschuss zuletzt so
gekürzt, dass statt drei Wochenstunden ab September nur noch eine möglich sei.
Die Kürzung treffe allein die deutsche und keine andere Minderheit in Polen.
Daher werden man beim Europäischen Gerichtshof gegen die Kürzung klagen, so
Hoch.
Traditionell wird an den Ostpreußentreffen der Ostpreußische Kulturpreis
verliehen. Der mit 5000 Euro aus Mitteln der Bayerischen Staatskanzlei dotierte
Preis ging dieses Jahr an das Bildarchiv Ostpreußen. Dessen Leiter Manfred
Schwarz, der den Preis entgegennahm, nutzte seine Dankesrede, um einen kurzen
Überblick über die Arbeit des Archivs zu geben. 133.000 Bilder und 6.000
Kartenwerke seinen mittlerweile erfasst, 640.000 Zugriffe im Internet allein
2021 zeigten, wie stark die Arbeit des Archivs angenommen würde. „Die Bilder
sind unser Langzeitgedächtnis“, so Schwarz, jeder bekomme Zugang.
Ostpreußentreffen
Musik und Tanz
Das Kulturprogramm in Wolfsburg übertrug den Schwung von der Bühne auf das
Publikum
Hanna Frahm
Es wurde getanzt, geschunkelt, gesungen und auch das Plachandern kam nicht zu
kurz. Dabei hatten die Besucher des Ostpreußentreffens der Landsmannschaft
Ostpreußen in Wolfsburg nur einen knappen Tag Zeit. Doch jede Minute wurde nach
der langen Corona-Pause von den bald eintausend Besuchern genutzt.
Sänger BernStein führte durch die gesamte Veranstaltung. Er verlas das
Fahnenprotokoll, moderierte gewohnt routiniert die Festveranstaltung und
unterhielt im Rahmen des Nachmittagsprogramms mit seinen Liedern und
historischen Aufnahmen aus Ostpreußen.
Die Tanzgruppe Saga aus Bartenstein erhielt nicht nur für ihre Tänze großen
Beifall, sondern auch für die Lieder „Ein bißchen Frieden“ von Nicole und „Sag’
mir, wo die Blumen sind“ von Marlene Dietrich. Von den Tänzern waren leider nur
zwei Jungs mit nach Wolfsburg gereist, bedauerte die Leiterin der Tanzgruppe,
Danuta Nieweglowsa, da die anderen sich Füße und Beine verletzt hatten.
Gefördert wurde der Auftritt der Gruppe SAGA aus Mitteln der Beauftragten der
Bundesregierung für Kultur und Medien über das Kulturreferat am Ostpreußischen
Landesmuseum.
Danach betrat der Chor Heide aus Heydekrug unter der Leitung von Walter Matulis
in feierlichem Schwarz die Bühne. Musikalisch gab es eine ganze Reihe von
bekannten und neuen Liedern. Eine kleine Gesangspause entstand, als
LO-Geschäftsführer Sebastian Husen sich bei der Niedersächsischen
Landesregierung für die großzügige Förderung des Auftritts des Chors Heide mit
Mitteln der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen, Standort Grenzdurchgangslager
Friedland, bedankte.
Junge, kraftvolle Stimmen brachte Asta Markeviciene mit dem Chor des
Hermann-Sudermann-Gymnasiums aus Memel auf die Bühne. Die von den Schülern mit
großer Ernsthaftigkeit mehrstimmig vorgetragenen deutschen und litauischen
Lieder ernteten großen Beifall. Bei dem bekannten Karat-Lied „Über sieben
Brücken musst du gehn“ sang der ganze Saal mit.
Im Foyer haben sich viele Kreisgemeinschaften vorgestellt, aber auch
Königsberger Marzipan gab es zu kaufen und vieles Weitere rund um Ostpreußen zu
erfahren
Quelle: PAZ Nr.24-17.Juni 2022
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