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Stellungnahme der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen in der Landsmannschaft Ostpreußen zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) Mit Entscheidung vom 7.10.2008 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Menschenrechtsbeschwerden von 23 deutschen Vertriebenen gegen Polen wegen Eigentumsentzugs im Zusammenhang mit der Vertreibung für unzulässig erklärt, weil sie mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unvereinbar sind. Die Beschwerdeführer hatten sich insbesondere auf Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK berufen, wonach jede Person ein Recht auf Achtung seines Eigentums hat und niemandem sein Eigentum ungesetzlich und ohne Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts entzogen werden darf. In Bezug auf die Beschwerdeführer, die in der Zeit vom Januar bis Mai 1945 geflohen sind, verneint der Gerichtshof die Verantwortlichkeit des polnischen Staates mit der Begründung, dass dieser weder de jure noch de facto damals staatliche Kontrolle in den betreffenden Gebieten gehabt habe. Die Flucht sei vielmehr von „deutschen Nazi Behörden“ veranlasst worden. Hinsichtlich der Enteignungs-Entscheidungen nach der Kapitulation hält sich der Gerichtshof nicht für zuständig, da die EMRK für Polen erst 1994 mit seiner Ratifikation Verbindlichkeit erlangt habe und die Enteignungen vor diesem Zeitpunkt vorgenommen worden seien. Durch die Enteignungen sei auch keine bis jetzt andauernde Rechtsverletzung bewirkt worden; sie seien vielmehr durch Gesetze Polens in Folge und im Sinne der Vereinbarungen der Siegermächte in Jalta und Potsdam und dem Abkommen über Kriegsreparationen für Polen erfolgt. Polen sei im übrigen auch nicht verpflichtet, Gesetze zur Rehabilitation oder Restitution zu erlassen. Die Landesgruppe Nordrhein-Westfalen der Landsmannschaft Ostpreußen nimmt diese Entscheidung und ihre Begründung mit Unverständnis und Empörung entgegen. Diese Entscheidung stellt eine Verweigerung dar, Flucht und Vertreibung von Millionen Menschen überhaupt nach menschenrechtlichen Maßstäben zu beurteilen. Es ist eine geradezu zynische Sicht, die Flucht von Personen nicht als Vertreibung zu beurteilen, obgleich der polnische Staat nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht die Rückkehr der Geflohenen verweigert hat; es sei denn, sie haben sich zu polnischen Staatsangehörigen erklärt. Völlig unannehmbar ist es, dass der Gerichtshof die Enteignungen der Vertriebenen als abgeschlossene und unanfechtbare Maßnahmen aufgrund der polnischen Enteignungsgesetzgebung als Folge der Vereinbarungen der Siegermächte beurteilt, ohne allgemeine Regeln des Völkerrechts zu berücksichtigen, die - wie die Haager Landkriegsordnung - die grundsätzliche Schonung des privaten Eigentums in besetzten Gebieten verlangen. Dabei übergeht der Gerichtshof auch den Grundsatz, dass Reparationen vom Staat zu leisten sind, nicht aber unmittelbar von privaten Personen, und schon gar nicht durch Eigentumsentzug bei Existenzgefährdung und Vertreibung. Viele völkerrechtlich erhebliche Argumente werden vom Gerichtshof überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Er verletzt insofern selbst den menschenrechtlichen Grundsatz eines „fairen“ Verfahrens, dessen Wahrung ihm bei der Überprüfung staatlicher Entscheidungen nach der Menschenrechtskonvention aufgegeben ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte versagt sich vor der historischen Aufgabe, in Europa, vorzugsweise im Bereich der Europäischen Union, über die menschenrechtliche Rhetorik hinaus auch menschenrechtliche Maßstäbe zu verwirklichen. Vielmehr wird damit bedingungsloses „Siegerrecht“ vor Menschenrecht gestellt. Diese Entscheidung ist gleichwohl durch die Bundesregierung, Kanzlerin und Außenminister, noch begrüßt worden. Darin liegt eine schamlose Verletzung des Rechtsgefühls der Vertriebenen. Die derzeitige Bundesregierung stellt damit im übrigen bisherige Bundesregierungen öffentlich und international bloß, die den Standpunkt vertreten haben, dass die Vertreibung und existenzvernichtende Enteignungen zumindest völkerrechtswidrig gewesen sind. Der Bundesregierung ist wohl auch entgangen, dass sie im Hinblick auf die Feststellungen des Gerichtshofs, die Enteignungen der Vertriebenen hätten Reparationscharakter gehabt, sich der Frage stellen muß, ob den betroffenen Vertriebenen wegen dieser einseitigen Belastung nicht ein angemessener Ausgleich vom deutschen Staat zu leisten ist. Den Organisationen der Vertriebenen bleibt nach dieser empörenden Entscheidung des EGMR weiterhin die dringende Aufgabe, politische sowie rechtliche Wege und Mittel zur Anerkennung und Wiedergutmachung des Unrechts der Vertreibung einschließlich des existenzvernichtenden Eigentumsentzugs zu suchen.
_________________________________ Europäischer Gerichtshof für
Menschenrechte Inadmissibility
decision - 09/10/2008 http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp?action=html&documentId=841872&portal=hbkm&... deutsche Übersetzung: www.coe.int/t/d/menschenrechtsgerichtshof/dokumente_auf_deutsch/volltext/entscheidungen...
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