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Augenmerk auf Ostpreußen Seit 2001 macht der 1970 geborene Historiker Andreas Kossert immer wieder mit Publikationen über Ostpreußen auf sich und natürlich auch auf Ostpreußen aufmerksam. Im Frühjahr dieses Jahres erschien bereits „Kalte Heimat – Die Geschichte der deutschen Vertriebenen“, im Herbst folgte nun „Damals in Ostpreußen – Der Untergang einer deutschen Provinz“, was nicht nur als Buch, sondern Anfang Oktober als Dokumentation bei der ARD eine breite Öffentlichkeit erreichte. Wer bei dem Titel „Damals in Ostpreußen – Der Untergang einer deutschen Provinz“ nur idyllische Berichte aus der Zeit vor Flucht und Vertreibung und dann die Folgen des Zweiten Weltkrieges samt Untergang der historischen ostdeutschen Provinz erwartet, wird jedoch schon dadurch überrascht, daß der Autor in seinen Ausführungen bereits mit der Zeit der Prußen beginnt, um dann chronologisch die Geschichte der Region darzustellen. Einer Region, die „im äußersten Osten Deutschlands gelegen“, lange bekannt war für ihre „guten und fruchtbaren Kontakte zu den Nachbarn außerhalb des Reiches. Jahrhundertlang war das Land kulturelle Schnittstelle zu den litauisch-baltischen, polnischen und russischen Regionen.“ Schon bei der Darstellung des Mittelalters weist Andreas Kossert darauf hin, daß kaum etwas die deutsche und polnische Nation so sehr spalte wie die Geschichte des Deutschen Ordens. Und schon zu jenen Zeiten erlebte Ostpreußen so manchen Niedergang, dem allerdings früher oder später bessere Zeiten folgten. Auch die im 17. Jahrhundert beginnende Herrschaft der Hohenzollern war nicht immer mit guten Zeiten gleichzusetzen, wobei auch Krisen von außen die Provinz niederzwangen, so beispielsweise der Dreißigjährige Krieg und die Pest. Mit großen Schritten gelangt der Autor ins 20. Jahrhundert. Hier greift er häufig auf Literaten und andere Zeitzeugen zurück, die neben der Schönheit der Landschaft auch die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen dargestellt haben. Die Modernisierung der Wirtschaft und der Infrastruktur wird unter anderem an den Veränderungen des einst kleinen Örtchens Eydtkuhnen erklärt. So wurde der „Grenzflecken zu einer Drehscheibe auf dem Landweg vom Atlantik zum Pazifik. Auf den Bahnsteigen vernahm man Sprachen aus aller Welt. Innerhalb von 15 Jahren stieg Eydtkuhnens Einwohnerzahl von 125 auf 3253, bis 1914 auf 6832 und 1923, ein Jahr nach der Erhebung zur Stadt, lebten hier 10500 Menschen … Auch dieser Aufschwung hatte seinen Preis. Dem Aufbruch in die neue Zeit fiel die einzigartige Kultur Ostpreußens, die Melange aus deutschen, masurischen und litauischen Traditionen zum Opfer.“ Hier ist allerdings ein Einspruch angebracht: Die Kultur der Region ging damals keineswegs unter, und sie war – bei allem Respekt für die litauischen und masurischen Anteile – seit vielen Generationen überwiegend deutsch. Anschaulich stellt der am Deutschen Historischen Institut in Warschau tätige Autor dar, welche Rolle Ostpreußen im Ersten Weltkrieg und vor allem danach spielte. Der Leser erhält den Eindruck, daß der Untergang Ostpreußens, der normalerweise mit dem Zweiten Weltkrieg verbunden wird, schon bereits damals begann. Abgetrennt vom Reich, durch „illegale Inbesitznahme des Memellandes“ von Litauen und Verlust anderer Landesteile an Polen war Ostpreußen nicht mehr das selbe wie zuvor. Doch nicht nur die Grenzen, sondern auch die Mentalität der Menschen in ihrem Innern erfuhren Veränderung. Die Volksabstimmung 1920 wurde zum „Grenzland- und Volkstumskampf“, der, wie Kossert schreibt, durch die Isolation vom Reich zur Radikalisierung und zu antidemokratischen Auswüchsen geführt habe. „Der alte reaktionäre Geist an der Universität Königsberg versucht mit allen legitimen und illegitimen Mitteln, sich durchzusetzen und gegen die Regierung zu wühlen“, zitiert Kossert den Reichs- und Staatskommissar Albert Borowski (SPD), der von der Regierung in Berlin den Auftrag erhalten hatte, die Verstrickungen der ostpreußischen Behörden in das Kapp-Unternehmen zu untersuchen. Durch die Isolation war Ostpreußen zudem auch von den Märkten des Reiches abgeschnitten. Eine schlechte Infrastruktur und eine agrarische Monokultur waren laut Kossert einige der Gründe für die hohen Abwanderungsraten aus der Provinz, die jedoch wegen ihrer schwierigen Lage mit einer unerwartet starken Solidarität aus dem Reich rechnen konnte. „Wenigstens ein Semester an der ,Ostlanduniversität‘ in der Pregelstadt zu studieren, sei bei nationalgesinnten Studenten eine „Ehrenpflicht“ gewesen. Reisen in das Land der dunklen Wälder und kristallnen Seen lagen im Trend. Jene, die nur die idyllische Landschaft und harmonische Kindertage in Erinnerung haben, werden ungern lesen, daß der Schein – will man dem Autor in all seiner Schärfe folgen – trügte: „Die demokratischen Kräfte erwiesen sich als zu schwach, um die Radikalisierung von rechts und links zu verhindern. Links stand die KPD, und die zählte in Ostpreußen viele Anhänger. Über ihre Geschichte ist kaum etwas bekannt, da man diese im landsmannschaftlichen Traditionsmonopolismus nach 1945 gern ausblendete.“ Dies ist nur eines von mehreren fragwürdigen Urteilen, die Kossert auch über die Landsmannschaft Ostpreußen fällt, die natürlich nie ein Monopol auf die Traditionen Ostpreußens hatte. Auch teilt der Autor die These mehrerer Historiker, daß die Nationalsozialisten die Ostpreußen besonders umgarnten … und diese sich umgarnen ließen. „Das Bollwerk im Osten“ erlebte jedoch unter Hitler nur eine kurze ökonomische Blütezeit bevor es, wie der Autor ausführlich darlegt, am Ende des Zweiten Weltkrieges zur Beute der UdSSR, Polens und Litauens wurde. Das schlimme Schicksal der Bewohner im Rahmen von Flucht und Vertreibung, aber auch Polonisierung nimmt viel Raum in der Darstellung ein. „Das ferne Land hat unser aller Aufmerksamkeit verdient … Es geht drum, das versunkene Ostpreußen der Vergessenheit zu entreißen …“, heißt es gegen Ende des Buches. Hierzu leistet Andreas Kossert einen nicht unwesentlichen Beitrag. Andreas Kossert: „Damals in Ostpreußen – Der Untergang
einer deutschen Provinz“, DVA, München 2008, geb., 255 Seiten, 19,90 Euro
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